Was ist eine depressive Störung?
Depressionen sind weit verbreitete Erkrankungen. Nahezu jeder fünfte Mensch leidet zumindest einmal im Verlauf seines Lebens längere Zeit an einer Depression. Depressionen sind Krankheiten des Menschen in seiner Gesamtheit: Sie verändern tief greifend den Stoffwechsel und andere Körperfunktionen ebenso wie unsere Gedanken, Gefühle und unsere Verhaltensweisen anderen Menschen gegenüber. Wenn depressive Erkrankungen frühzeitig erkannt werden, sind sie mit psychologischen Verfahren und den geeigneten Medikamenten gut behandelbar.
Eine Depression (depressive Episode) besteht, wenn mehrere der folgenden Merkmale über mehr als zwei Wochen ständig vorliegen:
Gefühle von Traurigkeit, Niedergeschlagenheit oder Hoffnungslosigkeit
Interessenverlust, Freudlosigkeit oder das Gefühl innerer Leere
Verminderter Antrieb, Aktivitätsverlust
Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit
Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Schuldgefühle und Gefühl der Wertlosigkeit
Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven
Suizidgedanken, erfolgte Selbstverletzungen oder Suizidhandlungen
Einschlaf-, Durchschlafstörungen und frühmorgendliches Erwachen
Verminderter Appetit (Gewichtsverlust)
Mangel oder Verlust von sexuellem Interesse
Diese Symptome verstärken sich im Laufe der Zeit gegenseitig, so dass der Betroffene das Gefühl gewinnt, wie in einer immer enger werdenden Spirale gefangen zu sein.
Welche Depressionsformen gibt es?
Obwohl immer von der Depression gesprochen wird, unterscheidet man grundsätzlich verschiedene Arten depressiver Störungen. Allen Formen ist gemeinsam, dass mindestens vier der angesprochenen Bereiche zutreffen. Dabei sind Art, Häufigkeit und Schwere der einzelnen Symptome von einem Patienten zum anderen oft recht unterschiedlich. Leidet jemand unter den genannten Zeichen einer Depression, dann ist eine genaue Diagnostik der erste Schritt zu einer Besserung. Dabei geht es um folgende Hauptziele:
Feststellung der Art der Depression und des Schweregrades
Feststellung des Verlaufs der Erkrankung
Ausschluss anderer (zumeist körperlicher) Gründe, die für eine Depression verantwortlich sein könnten
Auffindung der Ursachen und der konkreten Auslöser für die Erkrankung
Arten der Depression: Einteilung der Depression nach …
(Wittchen et al., 1995)
… Art und Anzahl der Symptome | … dem Verlauf | .. dem Vorliegen anderer Probleme |
Leichtgradige Depression | Einzelepisode einer Depression | Manie oder Bipolare Störung |
(mit oder ohne somatische Merkmale) | (= die erste und einzige Episode dieser Art) | (= ich habe auch Zeiten mit übersteigerter Erregung und Hochstimmung, die Probleme verursacht) |
Mittelgradige Depression | Wiederkehrende Depression | Anpassungsstörung mit depressiver Stimmung |
(mit oder ohne somatische Merkmale) | (= es gab schon früher einmal derartige Episoden) | (= ich leide erst seit einigen Wochen unter depressiver Stimmung, die eindeutig nach einem wichtigen Ereignis eintrat) |
Schwergradige Depression | Dysthymie | körperlich bedingte Depression |
(mit oder ohne somatische Merkmale) | (= in milderer Form geht es mir schon so seit Jahren) | (= meine Depression begann im Zusammenhang mit einer körperlichen Erkrankung oder der Einnahme eines Medikaments) |
Sind die Symptome erst vor einigen Wochen zum ersten Mal aufgetreten, so spricht man von einer einzelnen depressiven Episode. Sollten diese Symptome aber bereits früher schon einmal einige Wochen das Leben deutlich beeinträchtigt haben, besteht eine wiederkehrende oder auch rezidivierende Depression.
Treten diese Symptome immer wieder in relativ milder Form auf und dauern somit jahrelang an, werden sie als dysthyme Störungen bezeichnet.
Wechseln sich depressive Verstimmungen mit euphorischen Zuständen, in denen der Betroffene sich überaktiv, ungewöhnlich hochgestimmt und reizbar fühlt, ab, so werden diese Phasen der Hochgestimmtheit auch als hypomanisch oder manisch bezeichnet und kennzeichnen eine bipolare Störung, welche früher auch „Manisch-Depressives-Kranksein“ genannt wurde.
Wie entstehen Depressionen?
Die neueren Forschungsergebnisse zeigen, dass fast nie ein einzelnes Ereignis eine Depression verursacht.
Anfälligkeit für Depressionen und belastende Lebensereignise wirken zusammen
Bei jeder Person besteht eine unterschiedliche Erkrankungsanfälligkeit aufgrund biologischer Faktoren oder familiärer Gegebenheiten. Zu den biologischen Faktoren zählt unter anderem der Hirnstoffwechsel. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Botenstoffe (Neurotransmitter) des Nervensystems, die für die Übertragung und Verarbeitung aller Informationen verantwortlich sind. Eine Veränderung des bestehenden Gleichgewichtes dieser Substanzen durch angeborene Schwächen oder durch akute oder chronische Belastungen kann zu einem Ausbruch der Depression führen.
Zu den familiären Gegebenheiten gehören Verlusterfahrungen in der Kindheit oder Entwicklungsbedingungen, die nur wenig Raum schufen, ein stabiles Selbstwertgefühl zu entwickeln.
Vereinfacht ausgedrückt entsteht eine depressive Erkrankung dann, wenn zu dieser individuellen Krankheitsanfälligkeit Ereignisse im Leben kommen, die wie „ein Schlüssel ins Schloss“ der angeborenen oder erworbenen Verletzlichkeiten passen.
Verzerrte Wahrnehmungs- und Bewertungsmuster
Die Grundlage jeder depressiven Entwicklung ist das Vorliegen verzerrter Wahrnehmungs- und Bewertungsmuster. Diese Muster werden aktiviert durch die Erfahrung, den eigenen überhöhten Ansprüchen nicht gerecht zu werden. Der Patient tendiert dazu, sich selbst (z.B.: „Ich habe als Vater versagt“), seine Umwelt (z.B.: „Sicher denken meine Kollegen, dass ich nicht mehr so leistungsfähig bin“) und seine Zukunft (z.B.: „Ich bin sicher, dass ich in der nächsten Situation wieder versagen werde“) negativ zu sehen (Kognitive Triade).
Die „Kognitive Triade“ der Depression
Diese Einstellungen bewirken, dass sich der depressive Patient ständig wiederholend mit den destruktiven Gedanken beschäftigt und somit ausschließlich um Themen wie geringer Selbstwert, negative Selbstkritik sowie Hoffnungslosigkeit kreist.
Eine kleine Auswahl weiterer Beispiele häufiger kognitiver Verzerrungen: Übergeneralisierung: Ein einzelnes negatives Ereignis wird als Zeichen einer unendlichen Serie von Niederlagen gesehen. Selektive Wahrnehmung („Geistige Filter“): Nur Misserfolge zählen, positiv Erlebtes wird als selbstverständlich ausgeblendet. Katastrophisieren: Denke stets an das Schlimmste; es wird sicherlich zutreffen. Dichotomes Denken: Es gibt lediglich zwei Beurteilungskriterien: gut oder schlecht. |
Aus welchen Elementen besteht eine kognitive Verhaltenstherapie bei Depressionen?
Unter dem Begriff „Kognitive Verhaltenstherapie“ ist ein problemorientierter, strukturierter Behandlungsansatz zu verstehen, der bezogen auf die Depression folgende Schwerpunkte beinhaltet:
Diagnostik, Aufbau einer therapeutischen Beziehung
Parallel zur Eingangsdiagnostik ist der Aufbau einer tragfähigen Arbeitsbeziehung die Basis der Therapie. Ausgehend von der jeweiligen Problemlage werden mit dem Patienten gemeinsam Therapieziele erarbeitet, wobei die Therapieinhalte individuell angepasst werden nach dem Motto: So viele Patienten – so viele Therapien! Großer Wert wird auch auf den Aspekt der Transparenz gelegt, d.h. auf die Vermittlung des zugrunde liegenden therapeutischen Modells sowie auf das gemeinsame Herausarbeiten von Gedanken, Gefühlen und entsprechenden Verhaltensweisen anhand der Erlebnisse des Patienten. In Form von „Hausaufgaben“ setzt der Patient diese Inhalte der jeweiligen Therapiestunde in seiner realen Situation um. So werden möglichst bald durch diese Übungen dem Patienten kleine Erfolge vermittelt, die seiner Hoffnungslosigkeit entgegenwirken und damit auch die Therapie- und Veränderungsmotivation erhöhen (Therapie der kleinen Schritte).
Aktivitätsaufbau
Nachdem als Folge der depressiven Entwicklung zumeist ein sehr reduziertes Feld an Aktivitäten besteht, wird schrittweise versucht, von den zur Zeit vorliegenden Tagesverläufen des Patienten ausgehend, die Aktivitäten langsam zu erhöhen, realistische Standards zu setzen und somit wieder einen größeren Bewegungsradius verbunden mit dem Gefühl, wieder effektiver zu werden, zu erlangen. Als Motto gilt hier. „Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg!“
Genusstraining
In diesem Therapieelement soll der Patient wieder erlernen, seine Sinne bewusster wahrzunehmen. Das Ziel besteht darin, dass auch positive Kleinigkeiten des Alltags über Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen angenehm erlebt werden und somit mehr Lebensqualität aufgebaut werden kann.
„Kognitive Techniken“
Ein zentraler Motor in der Aufrechterhaltung von Depressionen sind die verzerrten Wahrnehmungs- und Denkmuster. Diese sog. „Kognitionen“ sollen in der Therapie verändert werden. Kognitionsverändernde Behandlungsschritte bei diesen problematischen und krankheitsfördernden Mustern sind die Überprüfung der mangelhaften Logik, sowie die Analyse negativer Kognitionen, weiters die Suche nach aktuellen, emotional positiv besetzten Erfahrungen sowie die generelle Stärkung des Selbstwertgefühls.
Optimierung sozialer Fertigkeiten
Nachdem Kommunikationsdefizite sowohl eine Ursache als auch eine Folge der depressiven Erkrankung darstellen, ist die Förderung der Beziehungsfähigkeit ein besonders wichtiges Element in der Behandlung. Zielbereiche sind:
Auf- und Ausbau der Fähigkeit, soziale Kontakte selbständig zu initiieren und
aufrecht zu erhalten.
Erkennen und Äußern-Können persönlicher Wünsche, Forderungen und Bedürfnisse.
Ziehen von Grenzen gegenüber Forderungen, denen der Patient nicht nachkommen
will.
Wahrnehmung und Ausdruck des gesamten eigenen Gefühlsspektrums.
Rückfallprophylaxe
Im Verlauf der kognitiven Verhaltenstherapie soll der Patient lernen, selbständig mit künftigen Beschwerden und Problemsituationen in der Form umzugehen, dass es zu keinen größeren Rückschritten oder Rückfällen kommt. Er wird angeleitet, das bisher Gelernte bei Bedarf jederzeit auf neue schwierige Situationen einzusetzen. Gegen Therapieende werden mögliche schwierige Situationen, die auf den Patienten zukommen könnten, analysiert und deren Bewältigungsstrategie durchgesprochen, so dass es ihm auch nach der Therapie gelingt, das Erreichte beizubehalten und weiter auszubauen, also sein eigener Therapeut zu werden.